Cannabis hat längst den Weg aus der Schmuddelecke gefunden – auch in der Schweiz. Besonders medizinisches THC rückt zunehmend ins Interesse von ÄrztInnen, PatientInnen und Politik. Seit August 2022 ist es einfacher geworden, cannabisbasierte Medikamente zu verschreiben, ganz ohne Sonderbewilligung. Doch zwischen Gesetzestext und gelebter Praxis klafft oft noch eine Lücke. Der rechtliche Rahmen ist klarer als früher, aber viele Hürden bleiben bestehen. Ein guter Zeitpunkt also, um genauer hinzuschauen: Wo steht die Schweiz bei medizinischem THC wirklich?

Hintergrund: Was ist medizinisches THC?
THC (Tetrahydrocannabinol) ist der bekannteste Wirkstoff der Cannabispflanze und wirkt unter anderem schmerzlindernd, entspannend und appetitanregend. In der Medizin wird THC vor allem bei chronischen Schmerzen, Spastiken (z. B. bei Multipler Sklerose) oder Übelkeit infolge Chemotherapie eingesetzt.
Wichtig: Nur Produkte mit mehr als 1 % THC gelten als verschreibungspflichtig. Noch immer herrscht viel Unklarheit bei VerbraucherInnen – zum Beispiel bei Themen wie Überdosierung von THC. Im Gegensatz dazu ist CBD, das nicht psychoaktiv wirkt, in der Schweiz frei erhältlich. Medizinisches THC unterliegt strengen Vorgaben – nicht nur bei der Herstellung, sondern auch beim Verschreiben durch ÄrztInnen.
Rechtlicher Rahmen in der Schweiz
Bis Mitte 2022 war medizinisches THC in der Schweiz nur per Ausnahmebewilligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) erhältlich – ein aufwendiger Prozess, der viele PatientInnen abschreckte. Seit dem 1. August 2022 können ÄrztInnen THC-haltige Medikamente direkt verschreiben, ohne gesonderte Bewilligung. Die Verantwortung liegt seither bei den behandelnden Fachpersonen. ProduzentInnen und HändlerInnen benötigen jedoch weiterhin eine Betriebsbewilligung von Swissmedic.
Zusätzlich müssen verschreibende ÄrztInnen dem BAG anonymisierte Behandlungsdaten übermitteln, damit die Wirkung und Verbreitung weiterhin beobachtet werden können. Eine Pflicht zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen gibt es allerdings nicht.
Wer nutzt medizinisches THC: Aktuelle Praxis & Zahlen
Tausende Menschen in der Schweiz verwenden Cannabis zur Linderung gesundheitlicher Beschwerden – oft ohne ärztliche Begleitung. Schätzungen zufolge nutzen rund 100’000 bis 200’000 Personen THC zur Selbstmedikation, viele davon beziehen es aus nicht-regulierten Quellen. Offiziell verschriebene Fälle sind noch vergleichsweise selten, doch die Zahl steigt langsam.
Moderne Telemedizin-Angebote ermöglichen mittlerweile auch digitale Konsultationen mit Rezept. Besonders für chronisch kranke oder mobilitätseingeschränkte PatientInnen in ländlichen Regionen bedeutet das einen einfacheren Zugang zur Therapie.
Verfügbare Präparate & Wirkstoffe
In der Schweiz sind derzeit nur wenige THC-haltige Medikamente offiziell zugelassen – darunter Sativex®, ein Mundspray bei MS-Spastiken, oder Epidyolex®, das bei bestimmten Formen der Epilepsie eingesetzt wird. Häufiger kommen jedoch individuell hergestellte Rezepturen zum Einsatz, etwa THC-Öle, Tinkturen oder getrocknete Blüten, die von spezialisierten Apotheken verarbeitet und abgegeben werden.
Dabei wird die Dosis je nach Beschwerdebild angepasst. Auch hier gilt: ÄrztInnen müssen verantwortungsvoll verschreiben und eine engmaschige Begleitung gewährleisten, um Nebenwirkungen zu vermeiden und Therapieziele realistisch zu stecken.
Ein Weg mit Hürden & Kritik
Trotz der Gesetzesänderung bleiben viele Hürden bestehen. PatientInnen berichten von langen Lieferzeiten, bürokratischen Abläufen oder hohen Kosten – denn die obligatorische Krankenkasse übernimmt die Behandlung in der Regel nur bei wenigen Indikationen und nach Einzelfallprüfung. Wer nicht zahlt, bleibt oft ohne Therapie.
Auch ÄrztInnen sind teilweise noch zurückhaltend, weil es an Fortbildungen oder klinischer Evidenz mangelt. PatientInnenorganisationen wie MedCan fordern deshalb mehr Transparenz, eine aktivere Rolle der Krankenkassen und den Ausbau ärztlicher Netzwerke für Cannabismedizin. Für viele Betroffene bleibt der Weg zur legalen Versorgung mühsam – trotz klarer gesetzlicher Grundlagen.
Wie steht es um die politische Entwicklung?
In mehreren Schweizer Städten laufen aktuell Pilotprojekte zum regulierten Verkauf von Cannabis an Erwachsene – allerdings ausschliesslich zu nicht-medizinischen Zwecken. Ein umfassender Gesetzesentwurf zur Legalisierung befindet sich in Vorbereitung. Sollte dieser angenommen werden, könnten Apotheken oder lizenzierte Shops künftig auch medizinisches THC strukturierter abgeben.
Das würde die Versorgung deutlich vereinfachen und die Qualitätssicherung verbessern. Zudem wäre eine Entlastung für ÄrztInnen und PatientInnen denkbar. Bis dahin bleibt das medizinische Cannabis-System ein Spezialfall – mit Potenzial, aber auch vielen Baustellen.
Ein Anfang ist gemacht – aber es bleibt viel zu tun
Medizinisches THC ist in der Schweiz heute legal und grundsätzlich gut reguliert – doch der Alltag zeigt: Die Umsetzung hakt. PatientInnen wünschen sich mehr Zugänglichkeit, bessere Erstattung und weniger bürokratische Hindernisse. Auch ÄrztInnen benötigen klarere Leitlinien und praxisnahe Fortbildungen.
Wer sich für eine THC-Therapie interessiert, sollte den Weg über medizinisches Fachpersonal wählen und sich umfassend beraten lassen. Seriöse Informationsquellen wie das BAG, MedCan oder spezialisierte Apotheken helfen weiter. Der politische Kurs zeigt: Der Umgang mit Cannabis wird sich weiter normalisieren – auch in der Medizin.
Aufmacherbild: Foto von CRYSTALWEED cannabis auf Unsplash