Ihre Leckerbissen sind kulinarische Höhenflüge. Denn Vanessa Lavorato verrührt nicht nur Mehl mit Butter, sondern hebt ihre Kreationen dank Cannabis auf ein weiteres Genusslevel. Darüber hat die Amerikanerin ein Buch geschrieben. Wir haben daraus genascht, ein längeres Schläfchen gemacht und sie schließlich zum Interview gebeten.
Seit der Mensch denkt, braucht der Mensch Rausch. Denn bald bemerkte der Mensch, dass so viel Denken anstrengend ist und beim Abschalten manchmal Nachhilfe nötig ist. Vor 3’000 Jahren mischten Hindus in Indien Milch mit Hanf, erfanden das spaßigste Nesquik der Welt und nannten es Bhang. Als sich im Mittelalter christliche Mönche den Rücken auspeitschten, rollte die muslimische Welt Honig, Datteln, Nüsse sowie Haschisch zur kleinen Munterkugel und nannte sie Majoun. Und heute? Müssen sich RucksacktouristInnen in Amsterdam kurz auf die Parkbank legen, weil sie die Weed Brownies im Coffee Shop eingeatmet haben wie das Krümelmonster ein Backblech voll mit Pfadfinderinnen- Keksen. Mit der fortschreitenden Legalisierung von Cannabis geht auch das gesellschaftliche Tabu in Rauch auf, sich den Alltag mit etwas THC glatt zu bügeln. Edibles, also mit Cannabis angereicherte Esswaren, sind dabei eine perfekte Alternative für alle, die sich ihre Entspannung nicht per Lungenzug verpassen wollen. Eine, die das kommerzielle Potenzial von Edibles früh erkannt hat, ist Vanessa Lavorato. 2011 gründete die Kalifornierin Marigold Sweets, ein auf Cannabis-Pralinen spezialisiertes Delikatessengeschäft. Fünf Jahre später moderierte sie für den TV Sender Vice die Kochshow „Bong Appétit” und wurde damit endgültig zur Institution für kiffiges Kochen. In Vanessas Buch „How to Eat Weed and Have a Good Time” stecken Dutzende Rezepte, die jede fade Dinnerparty in ein bonbonbuntes Kicherfest verwandeln. Im Interview fragen wir die Autorin, was sie bei der Recherche am meisten überraschte, ob Edibles der neue Alkohol sind und was zu tun ist, falls man doch einmal ein etwas zu großes Stück vom grünen Kuchen abknabbert.


FACES: Hast du dir nach dem Lesen von „How to Eat Weed and Have a Good Time” etwas Gutes gegönnt?
Vanessa Lavorato: Ja. Ich habe ein so tiefes Nickerchen
gemacht, dass mein Nervensystem zurückgesetzt wurde. Dann habe ich eine 90-minütige Massage gebucht und Edibles genommen.
F: Wie waren die Reaktionen auf dein Buch? Was war das schönste Kompliment? Welche Kritik hat dich zum Nachdenken gebracht?
VL: Die Leute haben mir gesagt, dass sie sich durch das Buch endlich mit Edibles vertraut fühlen. Die Fünf- Sterne-Rezensionen auf Amazon besagen, dass es Spaß macht, informativ ist und die Wissenschaft nicht verschleiert. Das bedeutet mir sehr viel. Was Kritik angeht: Mein neues Motto lautet, mich nicht mit Trollen auseinanderzusetzen. Aber ich höre mir durchdachte Rückmeldungen an. Einige LeserInnen wollten noch mehr Wissenschaft zu Edibles, also habe ich begonnen, mit meinem Patreon, The Edibles Club, mehr Labortests durchzuführen und während meinen YouTube-Livestreams Fragen und Antworten mit BranchenexpertInnen zu veranstalten.
F: Welche Mythen über Cannabis möchtest du dabei widerlegen?
VL: Dass man acht Stunden und einen Slow Cooker braucht, um Cannabutter herzustellen – das dauert nicht so lange und erfordert auch nicht so viel Aufwand. Und dass die Sorte bei Edibles eine Rolle spielt. Cannabinoide wie THC, THCV oder CBD sind wichtig, aber die Terpene, die oft die Sorte definieren, spielen bei Edibles keine Rolle.
„Essen und Cannabis sind universelle Verbindungselemente.“
F: Wem würdest du davon abraten, dein Buch in die Hand zu nehmen und mit der Zubereitung von Edibles zu beginnen?
VL: Mein Kochbuch richtet sich an alle, die gerne Cannabis essen. Aber wenn jemand sich weigert, Mengen abzumessen, oder der Meinung ist, dass jeder schon von einem einzigen Cookie high werden sollte, ist es vielleicht nicht das Richtige für dich. Es ist für Menschen gedacht, die neugierig und umsichtig sind und bereit sind, zu lernen, wie man bewusst dosiert – und wie man eine Milligramm- Waage benutzt.
F: Nehmen wir an, eine nicht so erfahrene Person hat etwas zu viel von den Edibles genascht und fühlt sich benommen. Was können wir tun, um die Lage zu entschärfen?
VL: Bleib ruhig und beruhige die Person. Sag zu ihr, dass er oder sie nicht in Gefahr ist und der Rausch vorübergehen wird – es braucht nur etwas Zeit. Manchmal brauchen diese Personen nur einen sicheren Ort, Wasser und die Gewissheit, dass es ihnen gut geht. Biete ihr beruhigende Snacks und Ablenkung an. Ein Erdnussbutter-Bananen- Sandwich, ein gemütliches Bett und ein alberner Film können die Erfahrung verändern. Die Komödie „How High“ zum Beispiel wirkt Wunder. Probiere den Trick mit schwarzem Pfeffer: Das Kauen oder Schnüffeln eines Pfefferkorns kann helfen, Ängste zu beruhigen. Es enthält Beta-Caryophyllen, ein Terpen, das mit Cannabinoid- Rezeptoren interagiert. Wenn schon nichts anderes hilft, ist es zumindest ein würziges Placebo. Und natürlich sollte man immer Hilfe rufen, wenn es sich um einen echten medizinischen Notfall handelt. Manchmal ist es am beruhigendsten, wenn eine Fachperson sagt: „Alles wird gut.“
F: Was war deine letzte kulinarische Kreation, die dich begeistert hat?
VL: Danky Queen Ice Cream Cake. Er besteht aus mehreren Schichten meiner Faded Sundae Sauce und Variationen des klassischen Dairy-Queen-Kuchens. Wie eine abgefahrene Geburtstagsparty für meinen Club von KifferInnen.
F: Gibt es ein Rezept, bei dem du noch nicht weißt, wie du es richtig zubereiten könntest?
VL: Ich habe mich bisher nicht an eine aromatisierte Meringue herangetraut, weil Fett das Eiweiß beschwert. Ich könnte eine Tinktur hinzufügen, aber ich befürchte, dass das Harz die Meringue ruinieren könnte. Ich werde es wohl einfach ausprobieren müssen.
F: Du hast deine Cannabis-Confiserie Marigold Sweets im Jahr 2010 gegründet. Gibt es so etwas wie eine typische Kundschaft für deine Produkte? Wie hat sich diese im Laufe der Jahre verändert?
VL: In der Anfangszeit waren es hauptsächlich KundInnen, die im Bekleidungsgeschäft Modern Appealing Clothing in San Francisco shoppten. Also Leute, die Dries Van Noten, Jil Sander und Maison Martin Margiela kauften. Sie schworen auf die Produkte, um besser schlafen zu können, Schmerzen zu lindern, Spaß zu haben und vor allem als Geschenke. Die Schokoladen waren zuverlässig dosiert, diskret verpackt und exklusiv, bevor Marken- Edibles in Kalifornien wirklich boomten. Jetzt habe ich KundInnen, die Marigold Sweets über die Jahre hinweg gefolgt sind und darauf warten, dass ich meine Produkte bei Cornerstone Wellness und den anderen Partner-Apotheken, mit denen ich in Kalifornien zusammenarbeite, abliefere. Viele meiner Schokoladenfans sind FeinschmeckerInnen, Wellness-Fans, Kreative und neugierige Neulinge. Ich finde es toll, wie viel breiter –und intelligenter – die KonsumentInnen von Edibles geworden sind.
F: Die Rezepte in deinem Buch basieren auf über 200 zertifizierten Labortests. Haben dich einige der Testergebnisse überrascht?
VL: Ja – insbesondere, wie schnell Infusionen in Butter und anderen Fetten erfolgen können. Im Internet gibt es so viele übermäßig komplizierte Techniken, die Menschen davon abhalten, Edibles herzustellen, und letztendlich zu Infusionen führen, die eklig schmecken. Die Labordaten haben mir geholfen, das zu durchbrechen und den Menschen zu vermitteln, wie schnell das alles funktioniert.
F: Das Buch enthält auch zwei nicht ess- beziehungsweise trinkbare Rezepte. Eines für Badesalz und eines für einen Balsam. Was sind die Vorteile von Hautpflegeprodukten mit Cannabis? Ist das ein Bereich, den du weiter erforschen möchtest?
VL: Topische Produkte werden unterschätzt. Sie machen nicht high, können aber lokale Muskelschmerzen, Verspannungen und Krämpfe lindern. Ich würde das gerne
weiterentwickeln – vielleicht eine Produktlinie für Bad und Körperpflege oder ein Pop-up-Spa mit entsprechenden Behandlungen
„Gen Z ist nicht mehr in den Bars, sondern in der Küche.“
F: Wie groß ist das Mainstream-Potenzial für Edibles? Werden sie beliebter als das Rauchen von Gras? Vielleicht sogar irgendwann beliebter als Alkohol?
VL: Für viele Menschen ist es das bereits, wir sehen es nur nicht aufgrund veralteter Stigmatisierung und gesetzlicher Beschränkungen. Essbare Cannabisprodukte sind diskret, dosierbar und viel eleganter als Rauchwolken bei einer Dinnerparty. Und seien wir ehrlich: Im Jahr 2025 wollen weniger Menschen einen Kater haben. Gen Z ist nicht mehr in den Bars, sondern in der Küche. Ich möchte ihnen beibringen, wie man Spaß hat, während diese Pflanze immer legaler wird.
F: In deinem Buch erwähnst du einige faszinierende Menschen und Reisen. Welche Begegnungen haben deine Karriere und Leidenschaft am meisten geprägt?
VL: Thailand sticht besonders hervor. Zu sehen, wie Cannabis nach Jahren des Verbots wieder in die traditionelle Kräutermedizin und Rezepte integriert wurde, war beeindruckend. Und überall, wo ich mit neuen Menschen gemeinsam Gerichte mit Cannabis genossen habe, hat sich meine Überzeugung vertieft, dass Essen und Cannabis universelle Verbindungselemente sind.
F: Die Legalisierung von Cannabis schreitet auch in den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt langsam voran. Wie beurteilst du diesen Prozess? Was läuft bisher gut, was nicht? Welche Länder machen es besser als andere?
VL: Die Einführung in den USA verlief uneinheitlich. Einige haben große Gewinne erzielt, andere leben mit Vorstrafen. Länder wie Malta und Thailand scheinen bei der Integration von Cannabis in Kultur und Medizin umsichtiger vorzugehen. Wir brauchen Gleichstellungsprogramme und medizinische Rechte, die in den Rechtsrahmen eingebettet sind, und nicht nur Lippenbekenntnisse der Bundesregierung.
F: Welches sind deine Lieblingsstädte für KifferInnen?
VL: Los Angeles ist meine Heimatbasis. Bangkok wegen des Essens und der Blüten, obwohl sie bei der Legalisierung gerade auf medizinische Zwecke umgestellt haben. New York steigt mit der Sorte Sour Diesel und einem neuen legalen Markt in der Rangliste auf.
F: Was sind deine drei Lieblingsfilme oder -fernsehserien, wenn du bekifft bist?
VL: „Jeopardy“! Und ich denke immer, dass ich es drauf habe mit den Antworten. „Great British Bake Off“ aus offensichtlichen Gründen. Und „Smiley Face“, weil es der erste Kifferfilm war, den ich je gesehen habe.
HOW TO EAT WEED AND HAVE A GOOD TIME
Space Cookie, the final frontier? Von wegen. Im Kochbuch „How to Eat Weed and Have a Good Time“ fächert Autorin Vanessa Lavorato ein ganzes Deck von Rezeptideen aus, die weit über die Keksdose hinausgehen. Unter anderem werden Guacamole, Hummus
und Meatballs angereichert mit Vanessas wissenschaftlich erarbeiteten Cannabis- Infusionen. Daneben droppt die Autorin enorm unterhaltsame Anekdoten aus ihrer bisherigen Karriere, die sie als eine Art Antoinette Bourdain, Meisterköchin des Weeds, um die ganze Welt führte. vanessalavorato.com

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Fotos: Julia Stotz
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