Radikal, abgründig, furchtlos: Vom 27. September 2025 bis zum 22. März 2026 widmet das Kunstmuseum St. Gallen der niederländischen Künstlerin und Avantgardistin Jacqueline de Jong (1939 – 2024) die erste Schweizer Retrospektive. Unter dem Titel „Ungehorsam“ vereint die Ausstellung über 100 Werke aus sechs Jahrzehnten – und zeigt eine Frau, die sich nie hat zähmen lassen.

Jacqueline de Jong war Malerin, Bildhauerin, Grafikerin, Aktivistin, Herausgeberin, Beobachterin der Machtspiele des 20. und 21. Jahrhunderts. Aber vor allem war sie ungehorsam. Vom 27. September 2025 bis zum 22. März 2026 widmet das Kunstmuseum St. Gallen – als erste Schweizer Kulturinstitution – dem künstlerischen Wild Child eine Retrospektive.
Zwischen Krieg und Zuflucht
1939 im niederländischen Hengelo, einer kleinen Stadt nahe der deutschen Grenze, geboren, erlebt Jacqueline de Jong als Kind die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Nach der nationalsozialistischen Besetzung der Niederlande 1940 wird ihre jüdische Familie getrennt. Die dreijährige Jacqueline flieht mit ihrer Schweizer Mutter nach Zürich, während ihr Vater in Amsterdam untertaucht. Die Jahre in der Limmatstadt und die Sommer im elterlichen Ferienhaus in Ascona am Lago Maggiore prägen sie nachhaltig. 1947, nach der Rückkehr ins Heimatland, musste das Universaltalent ihre Muttersprache neu lernen.
De Jongs Begeisterung für die beaux arts entstand nicht im luftleeren Raum: Beide Eltern sammelten passioniert Kunst und führten sie früh an die Avantgarde heran: Karel Appel, Jean Dubuffet, Roberto Matta – Künstler, die mit Konventionen brachen. Auch Jacqueline wollte das: Grenzen sprengen, Systeme in Frage stellen, Unruhe stiften.
„Wir müssen daran erinnert werden, ungehorsam zu sein“, sagte die Künstlerin 2017. Und dieses Credo scheint nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihr Leben schon seit immer bestimmt zu haben.
Ungehorsam als Lebenshaltung
1960 trat die damals 21-jährige de Jong offiziell der Situationistischen Internationale bei – einer politisch aufgeladenen Künstlerbewegung die das Ziel verfolgte, „sich vom Spektakel des Kapitalismus zu befreien und abenteuerliche, selbstbestimmte Begegnungen mit der Welt zu schaffen“. Ein Jahr später zog sie nach Paris, arbeitete bei Dior, studierte Französisch und konnte sich ganz ihrer Kunst widmen.
Neben Einflüssen aus Popkultur und Mode – von Bob Dylan bis zu bunten Strümpfen – bestimmten politische Umbrüche und künstlerische Innovationen das Jahrzehnt. Die Stadt der Liebe war ebenfalls betroffen: sie erlebte das Ende von Art Informel, Lyrischer Abstraktion und Vitalismus – Strömungen, die zuvor die Malerei dominiert hatten. Bewegungen wie Pop Art, Nouveau Réalisme und die neue Figuration gewannen an Bedeutung. Jacqueline de Jong nahm diesen Wandel auf: Fasziniert vom Fernsehen und inspiriert von populären Medien wie Science-Fiction und Pornografie fand sie darin wichtige Impulse für ihr Werk.
Für de Jong waren in dieser Zeit besonders zwei Dinge prägend: ihre Arbeit als Herausgeberin des Magazins The Situationist Times und ihr Engagement in der 68er-Bewegung: Für die Studentenproteste entwarf sie politische Plakate und beteiligte sich aktiv an den Aktionen.

Vom Golfkrieg bis Gaza – Malerei als Widerstand
Auch nach den 1960er-Jahren blieb De Jong unbequem. Während ihrer gesamten Karriere beschäftigte sie sich mit der medialen Darstellung von Krieg. Serien wie Megaliths (1991 – 1993), War (2013–2024) oder Disaster (2022–2024) verarbeiten die mitunter traurigsten Kapitel der Geschichte wie den Golfkrieg oder die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien, der Ukraine und Gaza.
Sechs Kapitel, ein Lebenswerk
Die umfassende Retrospektive – gezeigt werden rund 100 Werke – vereint Arbeiten aus De Jongs gesamter Karriere, von den frühen 1960er-Jahren bis in das Jahr ihres Todes, 2024 und ist in sechs Kapitel unterteilt:
- Chaos
- Editor
- Pop
- Alltag
- Spiel
- Politik
Diese Struktur spiegelt die Themen wider, die die Künstlerin ihr Leben lang begleiteten: Sexualität, Gewalt, Gesellschaftskritik und Humor – stets unkonventionell, politisch und mit einem Hang zum Makabren, stand ihr Werk im Dialog mit CoBrA, Pop Art, Neuer Figuration und Postmoderne

Eine unerschrockene Avantgardistin
Melanie Bühler, Kuratorin am Stedelijk Museum Amsterdam und Gastkuratorin der Ausstellung, beschreibt de Jong als „Ausnahmekünstlerin – eine Pionierin, die der männlich dominierten Kunstwelt mit Witz, Charme, Intelligenz, Hartnäckigkeit und Selbstbewusstsein begegnete.“ Ihr Werk sei furchtlos der Welt zugewandt, offen für das Abgründige, Lustvolle und Provokative.
Die Retrospektive würdigt nicht de Jongs Œuvre, sondern auch ihre Verbindung zur Schweiz. Die Künstlerin sprach fließend Schweizerdeutsch, ihre Werke sind in hiesigen Sammlungen vertreten, und frühe Sommeraufenthalte im Tessin lieferten Inspiration für ihre Malerei und Skulptur.
Hier findest du ein spannendes Interview über die Ausstellung „Burning Down the House: Rethinking Family“, die das Kunstmuseum St.Gallen letzten Herbst präsentiert hat.
Interessiert? Hier findest du die Agenda & mehr Informationen zur Ausstellung.






