Mode und Trends sind Paolo Pittons täglich Brot. Der Co-CEO von Bongénie Grieder sitzt auf 131 Jahren Traditionsgeschichte und schreibt das Mode-Märchen mit eifriger Feder weiter. Wie glamourös das Daily Business auf dem Mode-Thron tatsächlich ist und welche Hürden Pitton täglich auf der Rennbahn der Prêt-à-Porter nimmt, verrät er uns im Interview.
Fotos: © Bongénie Grieder
FACES: Wie definieren Sie persönlich den Begriff Luxus?
Paolo Pitton: Luxus ist ein magischer Mix aus Schönheit, der mit dem Gefühl kombiniert wird, sich selbst etwas Gutes zu tun und sich zu belohnen. Produkt, Qualität und Service werden dabei vereint, um eine ganz persönliche Luxus-Erfahrung zu erhalten.
F: Sie sind Co-CEO bei Bongénie Grieder, einem der bekanntesten Modehäuser der Schweiz, und verkaufen Mode der aktuell angesagtesten Labels an prominenter Lage. Wie glamourös sind Ihr Job und Ihr tägliches Geschäft?
PP: Es ist ein grandioser Job, der aber gar nichts mit dem Glamour zu tun hat, den man sich dabei vielleicht vorstellen könnte. Alles, was ich täglich tue oder worüber ich nachdenke, tue ich mit dem einen Ziel, Menschen noch glücklicher zu machen – und das ist schon toll, ein schönes Gefühl.
F: Dabei, dieses Ziel zu erfüllen, stellen sich Ihnen sicherlich zahlreiche Hürden und Stolpersteine in den Weg. Mit welchen Problemen schlagen Sie sich in Ihrem Arbeitsalltag normalerweise herum?
PP: Da geht es mir wohl wie den meisten von uns, muss ich mir doch täglich Gedanken dazu machen, wie unsere Industrie in Zukunft aussehen wird. Nur wenn ich mir diese Gedanken mache, kann ich auch die richtigen Entscheidungen treffen und gemeinsam mit meinem Team in die richtige Richtung gehen. Gleichzeitig dürfen wir die Gegenwart nicht vergessen und müssen stets auch ein Auge auf das Hier und Jetzt werfen, damit wir unsere KundInnen glücklich machen können.
F: Bongénie Grieder wurde im Jahr 1891 gegründet, das ist jetzt 131 Jahre her – ein großes Vermächtnis! Wie viel Respekt haben Sie vor diesem Erbe und davor, bestehende Traditionen zu wahren und dennoch mit neuen Ideen in die Zukunft zu gehen?
PP: Genau davor habe ich großen Respekt, und es ist mir auch bewusst, dass wir in der Gegenwart für das bewertet werden, was wir täglich ausrichten, und nicht für die Leistungen unserer Vorgänger.
F: Wie erklären Sie Bongénie Grieder jemandem, der das Unternehmen nicht kennt?
PP: Wer Bongénie Grieder nicht kennt, den würde ich als erstes zu uns einladen! Unsere Filialen befinden sich in zahlreichen Städten der Schweiz von Genf über Lausanne, Basel, Bern bis Luzern. In Zürich findet man uns aktuell noch am Paradeplatz inmitten der Bahnhofstraße, wobei wir per 2024 an einen anderen Standort umziehen werden. All unsere Filialen haben einen ganz eigenen Charakter – genauso wie die Menschen, die uns besuchen und bei uns einkaufen. Wir arbeiten dabei mit individuellen Farben und schaffen jeweils eine ganz persönliche Architektur. Kein Geschäft ist wie das andere – da unterscheiden wir uns maßgeblich von internationalen Marken, deren Ladenlokale auf der ganzen Welt gleich aussehen. Eines eint allerdings all unsere Filialen: die Herzlichkeit, die Leidenschaft unserer MitarbeiterInnen und das große Wissen über Mode-Trends.
F: Die Modebranche verändert sich stetig, und ständig kommen neue Marken auf den Markt. Wie entscheidet Bongénie Grieder, welche davon ins Sortiment aufgenommen werden?
PP: Bei der Auswahl für unsere Marken gibt es keine Regeln; wir suchen nach der Magie, nach diesem gewissen Etwas, das uns überzeugt. Natürlich steckt hinter jeder neuen Marke viel Leidenschaft – die braucht man auch, wenn man es in der Modebranche schaffen will. Das ist für uns wichtig, daneben achten wir aber auch auf überdurchschnittliches Design und die Qualität der Kollektionen sowie der einzelnen Teile.
„Alles, was ich täglich tue oder worüber ich nachdenke, tue ich mit dem Ziel, Menschen noch glücklicher zu machen.“
F: Heute hat jeder und jede die Möglichkeit, 24/7 online einzukaufen und im Internet die Preise zu vergleichen. Wie schaffen Sie es dabei, dass sich Ihre KundInnen für Bongénie Grieder entscheiden?
PP: Die Preise sind meiner Meinung nach kein Problem. Die KundIn kann sich jederzeit aussuchen, wann und wo er oder sie shoppen will – auch bei uns. Unsere Fachkenntnisse bieten wir deshalb nicht nur offline in unseren Geschäften an, sondern auch 24/7 online auf bongenie-grieder.ch.
F: Wie überzeugen Sie Ihre KundInnen davon, offline in einem der Geschäfte von Bongénie Grieder einzukaufen?
PP: Vor Ort zu shoppen, ist eine ganz andere Erfahrung. Einmal zwinkern, und schon haben Sie online beim Scrollen Hunderte Styles verpasst, die Sie sich beim Stöbern im Geschäft in aller Ruhe ansehen können. Zudem hilft Ihnen unser Team dabei, Ihren eigenen Stil zu finden und Looks zu kreieren, die Ihnen und Ihren Vorlieben entsprechen.
F: Bongénie Grieder ist eine Institution der Zürcher Bahnhofstraße. Wie wichtig ist Ihnen diese Location?
PP: Die Bahnhofstraße in Zürich ist seit 130 Jahren das Zuhause von Bongénie Grieder. Ich kenne kein anderes Geschäft, das so lange dort beheimatet ist oder war. Bongénie Grieder hat damals den Grundstein für diese Straße gelegt – und alle anderen Marken folgten.
F: Sie haben bereits davon gesprochen, dass Sie mit Bongénie Grieder 2024 an einen neuen Standort ziehen. Was können Sie uns dazu verraten?
PP: Wir freuen uns riesig auf diesen Schritt – ein neues Haus, alles ganz frisch. Ende 2024 werden wir unser neues Geschäft an der Bahnhofstraße 3 in Zürich eröffnen, direkt vis-à-vis des Bürkliplatzes. Es wird ein Mix aus Tradition und Innovation, genauso, wie wir das schon immer vorlebten.
F: Welche ist die größte Herausforderung, die der Einzelhandel aktuell meistern muss?
PP: Wir stehen alle vor derselben Problematik, Personal zu finden, das Leidenschaft für die Arbeit im Geschäft sowie im Umgang mit den KundInnen mitbringt.
F: Fast-Fashion-Marken wie Shein fahren besonders große Gewinne ein und nehmen stetig an Beliebtheit zu. Wie beurteilen Sie diesen Aufstieg?
PP: Fast Fashion zielt auf den Preis, um KonkurrentInnen aus dem Rennen und zum Straucheln zu bringen. Dabei gibt es immer einen, der es noch besser macht als sein Vorgänger. Was ihr Segment anbelangt, haben die Verantwortlichen um Shein einen guten Job gemacht.
F: Welcher Preis ist für ein T-Shirt zu hoch und welcher zu gering?
PP: Das ist eine persönliche Entscheidung, die jeder und jede für sich selbst treffen muss – wie alles, was mit Emotionen zu tun hat.
F: Können Mode und Konsum überhaupt nachhaltig sein?
PP: Wir müssen uns alle bemühen, unseren Lebensraum zu verbessern und unserem Planeten Sorge zu tragen. Mein persönlicher Wunsch wäre, dass die Mode zu natürlichen Materialien zurückkehrt.
F: Die Welt dreht sich schnell, das Modekarussell noch schneller. Was hat sich in der Branche in den vergangenen Jahren am meisten verändert?
PP: Ganz klar: die Rolle von Social Media. Dabei stellen sich ganz neue Fragen, wie etwa: Wer beeinflusst heute wen? Oder: Welchem Rat sollten wir wirklich folgen, welchem vertrauen? Diesbezüglich hat sich schon sehr viel verändert.
F: Welche Entwicklung der Modeindustrie stimmt Sie persönlich besonders nachdenklich?
PP: Dass immer mehr traditionsreiche Marken in die Hände weniger Industriekonzerne fallen. Junge DesignerInnen könnten sich aus diesem Grund eher dazu verleiten lassen, für bestehende Marken zu arbeiten, statt selbst etwas aus dem Boden zu stampfen. Sie richten sich nach bestehenden Vorstellungen und versuchen, sich anzupassen – dabei wäre es doch umso wünschenswerter, sie von ihrem eigenen Unternehmen träumen zu lassen.
F: Wie soll die Modeindustrie Ihrer Meinung nach in Zukunft aussehen?
PP: Sie soll konzentrierter sein, aber auch um einiges demokratischer. Ich träume davon, dass Mode für immer mehr Menschen verfügbar und zugänglich ist und wir so kulturelle Barrieren reduzieren oder sogar einreißen können. Besonders wichtig ist eine Steigerung des Respektes gegenüber Diversität und unserem Planeten – diesbezüglich bin ich besonders hoffnungsvoll.
F: Ist virtuelle Mode eine ernst zu nehmende Konkurrenz für normale Modekollektionen?
PP: Es ist noch zu früh, um das mit Sicherheit sagen zu können. NFT-Teile könnten durchaus in unseren künftigen Einkaufswagen landen: Wir könnten uns in der Realität einkleiden und gleichzeitig NFT-Mode kaufen, um unsere Persönlichkeit auch im Metaverse weiterzutragen und auszudrücken.
F: Gibt es Unterschiede zwischen jungen und älteren Fashionistas?
PP: Ich denke nicht. Wir kaufen doch alle ein, um uns selbst zu gefallen. Jede Person hat verschiedene Bedürfnisse, die sich je nach Lebensepisode verändern – dies führt zu einem sehr unterschiedlichen Konsumverhalten zwischen Individuen. Das Alter ist meiner Meinung nach eher nebensächlich.
F: Wie beschreiben Sie die typische Schweizer Mode-KonsumentIn?
PP: Klug und gebildet und damit gar nicht so anders als jede andere KonsumentIn in anderen Teilen der Welt.
F: Wie reagiert die Schweiz im internationalen Vergleich auf Mode und Trends?
PP: Die Schweiz versprüht gegen außen ein sehr traditionelles Bild. Dennoch sind die Menschen hier sehr offen gegenüber Diversität und neuen Ausdrucksformen wie etwa Kunst. Mode und Trends werden von einzelnen Nischen besonders schnell aufgeschnappt, wobei es dann allerdings ein wenig Zeit braucht, bis die breite Masse mitmischt.
F: Verraten Sie uns Ihr Modegeheimnis?
PP: Hab keine Angst davor, overdressed zu sein.