Hollywood hat ein neues Geheimrezept: Die aufstrebenden Stars von heute spielen die alten Musiklegenden von damals. Hat mit Timothée Chalamet als Bob Dylan und Austin Butler als Elvis funktioniert und geht jetzt mit Jeremy Allen White als Bruce Springsteen bestens auf. Für alle, die in die Tiefen des Entstehungsprozesses des Albums „Nebraska“ eintauchen wollen, ist „Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ ein Muss.

Zwei Fragen tauchen unweigerlich auf, wenn verkündet wird, dass eine weitere ikonische Musikkarriere verfilmt wird. Kann SchauspielerIn X überhaupt singen? Und sieht er oder sie der Ikone genug ähnlich? Bonusfrage für die Zynischen unter uns: Braucht’s diese Biopics irgendwo zwischen Biografie und Fiktion überhaupt?
Im Fall von „Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ sind zumindest die ersten beiden Fragen geklärt. „Man sieht ihn in einem Film und weiß, der ist ein Rockstar“, sagt The Boss höchstpersönlich bei einer Q&A Session in den Londoner Spotify-Offices über Jeremy Allen White. White habe laut Springsteen den Swagger, den man nicht faken kann und deswegen sei auch niemand anders für die Rolle in Frage gekommen. Dass der 34-Jährige vor dem Projekt weder singen noch Gitarre spielen konnte, war für Springsteen zweitrangig. Das Vertrauen hat sich gelohnt, denn auf dem Screen sieht es aus, als würde White seit Kindheitstagen eine Musikkarriere verfolgen.

Ein Blick in die Rockstar-Psyche
Wer auf ein heldenhaftes Biopic hofft, in dem Springsteens Rockstar-Höhepunkte gefeiert werden, wird enttäuscht. Für Musiknerds und alle, die gerne tief in der Psyche eines Menschen stochern, ist „Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ ein zweistündiger Traum. Die Handlung dreht sich um die Entstehungsgeschichte des Albums „Nebraska“ aus 1982, mit dem Springsteen eine völlig neue Richtung einschlug. Er schiebt Hits wie „Born in the USA“, obwohl schon fixfertig aufgenommen, erst einmal weit in die Zukunft und widmet sich mit emotionalen und akustischen Songs wie „Atlantic City“ oder „Mansion on the Hill“ seinen persönlichen Traumata. Sein Vater – fantastisch gespielt von Stephen Graham – kämpfte mit Alkoholsucht und Depressionen, was er am kleinen Bruce ausließ. Erinnerungen an eine mehrheitlich gewaltvolle Kindheit suchen Springsteen heim. Vereinzelte warme Momente erklären, warum Springsteen trotz allem ein Verhältnis zu seinen Eltern pflegte, gar spontan nach Los Angeles flog, um seinen betrunkenen Vater aus einer Bar zu holen und ins Krankenhaus zu bringen.
Springsteen selbst wurde sein Leben lang ebenfalls von Depressionen heimgesucht. Das ist vielleicht das schönste Detail am ganzen Film: Mentale Gesundheit wird ernst genommen und realistisch beleuchtet. Springsteen wurde nie magisch geheilt von Depressionen, denn so funktioniert diese Krankheit nicht. Er spricht offen darüber, dass er gerade in seinen Sechzigern wieder stark daran litt. Mit der Zeit lernt er, mit den Depressionen umzugehen. Mit „Nebraska“ verarbeitete er einige seiner größten Kindheitstraumata.

Plädoyer für die Kunst
Zu Beginn sieht man Jeremy Allen White vielleicht noch als gestressten Chefkoch Carmy aus „The Bear“ – ähnlich gequält sind die Charaktere ja. Doch White geht in der Rolle auf. Wie er wie besessen in seinem abgelegenen Haus Notizen kritzelt und erste Lyrics vor sich hin summt, könnte man meinen, es seien Aufnahmen des echten Bruce. Ausgestattet mit minimalem Equipment nimmt Springsteen eine Kassette auf. Es sollen nur Demos sein, doch am Schluss will er genau diesen Sound haben. Der Kampf um seine exakte künstlerische Vision ist etwas, das heute wichtiger ist denn je. Statt Musik so aufzunehmen, dass möglichst viele Streams auf Spotify und Co. garantiert werden, soll die Vision der KünstlerIn Priorität haben. Klingt logisch, ist in unserer Kapitalismus-Gesellschaft aber ein rares Luxusgut. Auch anno 1982 wollte man erst „Born in the USA“ durchboxen, da die PR-Seite nichts mit den ruhigen und düsteren Songs auf „Nebraska“ anfangen konnte. Springsteen wollte keine Tour, keine Presse, kein Foto von sich auf dem Cover. Schön anzuschauen ist, wie sich sein Manager Jon Landau ohne je etwas zu hinterfragen hinter Springsteens Vision stellt, selbst wenn er anderer Meinung war. Man kann nur hoffen, MusikmanagerInnen heutzutage übernehmen das Landau-Mindset. Schließlich landete „Nebraska“ in der Top drei der US- und UK-Charts. Songs wie „Atlantic City“ wurden zu Klassikern und finden heute noch neue HörerInnen. Vielleicht ist „Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ nicht nur eine Ode an The Boss, sondern viel allgemeiner eine Aufforderung, Kreative einfach machen zu lassen und den Kommerz hinten anzustellen. Hoffen darf man ja.

Wirf hier einen Blick auf Jeremy Allen White als The Boss.
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