Chic, belesen, leicht genervt und trotzdem charmant: Fran Lebowitz kommt nach Zürich. Grund genug, einen Blick auf die Frau zu werfen, die seit jeher beobachtet, kommentiert – und, wenn nötig, gnadenlos zerlegt.

Wenn Denken ein Spektakel ist
Fran Lebowitz ist vieles: Journalistin, Autorin, Schauspielerin, Public Speakerin – und bald auf der Bühne des Zürcher Volkshauses zu sehen. Um diesen hohen Besuch zu feiern, machen wir uns auf eine Reise durch das Universum der 74-Jährigen. Eine Welt, in der Bücher mehr zählen als Smartphones (Lebowitz ist nur übers Festnetz erreichbar), „Höfliche Konversation meistens weder das eine noch das andere ist” und Ignoranz das wahre Übel der Gegenwart darstellt.
Ihr Stil – Jeans, Sakko von Anderson & Sheppard, weisse Bluse, klobige Boots – und ihre Eloquenz haben Fran zur Kultfigur gemacht. Wie kaum eine andere verkörpert die Sprachakrobatin den Spirit ihrer Wahlheimat New York. Doch angefangen hat es im Bundesstaat nebenan.
Eine Karriere gegen den Strich
1950 in New Jersey geboren, zog es Lebowitz früh in den Big Apple, wo die heutige „Stimme New Yorks” sich mit Gelegenheitsjob durchschlug – sie putzte, mixte Drinks, fuhr Taxi und schrieb Erotika.
In den Siebzigerjahren etablierte sich Fran mit Kolumnen über schlechte Filme und Stadtbeobachtungen in Andy Warhol’s „Interview”-Magazin als scharfsinnige Chronistin des New Yorker Lebens: intellektuell, sarkastisch, brillant. Inzwischen gilt sie als Schutzheilige der Schreibblockade. Ihre eigene hält seit 1994 an.
Lebowitz’ Beziehung zum Künstler Warhol? Schwierig. „Er mochte mich nicht, und ich mochte ihn auch nicht,” sagt sie. Warum? Weil sie dort war, um zu schreiben, nicht um bei ihm zu sein. Warhol, so Lebowitz zur Zeitung The Guardian, sei „eitel und unsicher” gewesen. Und die berühmte Factory, das physische Zentrum von Andy Warhols Kreativität? Voller Menschen mit Drogenproblemen – „alle außer Andy, der verteilte das Zeug nur. Er liebte das Drama, es hat ihn amüsiert.”
Legendär ist Frans Kennenlernen mit ihm, das sie im selben Interview so schildert: „Das war nach dem Attentat auf Andy. Ich klopfte und er fragte: ‘Wer ist da?’ Ich rief: ‘Valerie Solanas!’ – die Frau, die ihn angeschossen hatte. Und er öffnete die Tür. Da wusste ich: ‘Dieser Mensch ist kein Genie.’”

Von Morrison bis Reed – New York als künstlerisches Biotop
Lebowitz’ Freundeskreis liest sich wie ein Who’s Who der Kunstgeschichte: Autorin Toni Morrison („die einzige weise Person, die ich je kannte“), Fotograf Robert Mapplethorpe (den auch die Non-Photography-Buffs unter uns aus Patti Smiths autobiographischem Meisterwerk „Just Kids” kennen), Künstler und Autor David Wojnarowicz („Close to the Knives: A Memoir of Disintegration”), Musiker Lou Reed (Gründungsmitglied von The Velvet Underground) oder Schauspielerin Candy Darling (auch teil der Warhol-Superstars, wie sich die Clique um Andy nannte). Morrisons Kritik an Lebowitz: „Du hast immer recht, aber du bist nie fair.“ Eine Beobachtung, der Lebowitz zustimmt.
Wer nach diesem Text mehr über die „Law & Order”-Schauspielerin erfahren will: Regisseur Martin Scorsese – mit dem Fran eine dekadenlange Freundschaft verbindet – wirft in den Dokus „Public Speaking“ (2012) und „Pretend It’s a City“ (2021) einen noch ausführlichen Blick auf sie.
Ein Feuerwerk der Verachtung
Zurückhaltung ist nicht Frans Stil und Seitenhiebe setzt sie ein wie Präzisionswerkzeug. Dass die stolze Besitzerin von 12.000 Büchern heute als Ikone gilt, liegt an dem, was sie mit Sprache macht. Wer Lebowitz reden hört, hört Denken in Echtzeit: trocken, bissig und gnadenlos. Dabei bleibt keine Figur auf dem politischen Parkett ungeschoren.
Donald Trump bekommt regelmässig sein Fett weg („ein Betrüger“,„ein billiger Scharlatan“, „verrückt – aber hauptsächlich dumm“). Doch auch mit anderen geht die legendäre Kommentatorin hart ins Gericht: Bill Clinton? „Ein getarnter Republikaner.” Ronald Reagan? „Der Prototyp des dummen Präsidenten.” Einst sagte die Gesellschaftskritikerin: „Mein Ragelevel ist dauerhaft auf Fieberhöhe” – und man glaubt es ihr sofort.
Und doch, so kompromisslos Lebowitz in ihren Urteilen oft ist, ein Thema umschifft sie seit jeher vorsichtig: Israel. Kein Wort über Zionismus, kein Kommentar zu Gaza. Bei einer Frau, die sonst kein Blatt vor den Mund nimmt, ist dieser blinde Fleck unübersehbar. Ihr Schweigen ist keine Folge von Herkunft oder Religion, sondern eine bewusste Entscheidung – und gerade deshalb wirkt es heute, wo Stille selbst als Stellungnahme gilt, so laut.
Eine verlorene Generation
Frans Wut ist nicht gespielt und sie hat Geschichte. Tief geprägt ist die Amerikanerin von der AIDS-Krise, die innerhalb weniger Jahre viele ihrer Freunde – darunter große Künstler und Denker wie Peter Hujar (der Fotograf galt als Schlüsselfigur in der New Yorker Downtown-Szene und ist heute besonders für seine Schwarz-Weiss Fotografie wie „Orgasmic Man” bekannt) oder Paul Thek (ein bekannter Maler, an dessen Andenken Susan Sontag ihr Werk über AIDS widmete) – auf einmal auslöschte. Für Lebowitz starben so nicht nur enge Verbündete und die Kunst-Elite, sondern auch das „wissende Publikum”, das verstand, worum es ging. Und ein Publikum mit einem hohen Grad an Kennertum sei genauso wichtig für Kultur wie die KünstlerInnen selbst, sagt die Frau mit der unverwechselbar samtigen Stimme in der Dokumentation „Public Speaking”
Was Fran, die nie einen Hehl aus ihrer Homosexuallität gemacht hat, beschreibt, ist mehr als blosse Trauer. Es ist Bewusstsein über einen Verlust auf gesellschaftlicher Ebene. Eine ganze Generation weg, ihre Referenzen, ihr Humor, ihr Maßstab, ihr Leben – nicht ersetzbar.
1987 veröffentlichte Lebowitz im New York Times Magazine einen bewegenden Text über den Einfluss von AIDS auf die Kunstwelt – und legte ihre sonst so kühle Rhetorik ausnahmsweise ab.

Zürich, du hast Glück
Fran Lebowitz ist nicht nur eine brillante Beobachterin. Sie ist eine Erinnerung daran, dass Kritik ein Handwerk ist – und dass Witz mehr braucht als Tempo. So sprach die Frau mit dem ikonische Bob und der auffälligen Brille vielen von uns aus der Seele, als sie sagte: „The problem with me is that I hate money and I love things”
Frans Wirkung: fast schon therapeutisch. Im Guardian-Interview erzählte Lebowitz wie Menschen sie auf der Straße anhalten und sagen, dass sie nach New York gekommen seien, um sie zu treffen – worauf die Humoristin stets antworte, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen sei: „Die Stadt ist sehr klein, und ich laufe viel herum.“
Bekanntlich hasst es die Ur-New-Yorkerin zu reisen, aber auf der Bühne angekommen liebt sie Publikumsfragen: „Vielleicht, weil mir in meiner Kindheit niemand je eine gestellt hat. Das ist wie mit Süßigkeiten: Als Kind durfte ich keine, und jetzt esse ich sie jeden Tag.“
Wer die Frau, die für viele als „Traum-Dinner-Gast” gilt, live erleben will, bekommt bald Gelegenheit dazu: Fran Lebowitz ist am 22. September im Zürcher Volkshaus – aufgrund hoher Nachfrage, wie die Veranstalterin Original Talks erklärt. Im Gepäck: Meinungen, Pointen, die einschneiden, wie mit dem Skalpell gesetzt und garantiert kein Filter. Danach führt sie ihre Europa-Tour nach Berlin, Amsterdam und Stockholm.

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Fotos: © Netflix Media-Center